Alljährlich veranstaltet der SPD Ortsverein Bosserode am 03. Oktober einen Bürgertreff, um an die Grenzöffnung und die Deutsche Einheit zu erinnern und gemeinsam zu feiern. Festredner in diesem Jahr war Matthias Müller, Küster der Nikolaikirche in Leipzig, der die Friedensgebete miterlebt hat.
Die Erlebnisse im Herbst 1989
“Nikolaikirche – offen für alle” war im Herbst 1989 zu einer Wirklichkeit geworden, die uns alle überraschte. Sie vereinte schließlich Menschen aus dem ganzen Gebiet der ehemaligen DDR: Ausreisewillige und Neugierige, Regimekritiker und Stasileute, kirchliche Mitarbeiterinnen und SED-Genossen, Christen und Nichtchristen unter den ausgebreiteten Armen des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus: Sich das vorzustellen, reichte angesichts der politischen Realität zwischen 1949 und 1989 die Phantasie nicht aus. Nun war es Wirklichkeit.
Seit dem 08. Mai 1989 wurden die Zufahrtsstraßen zur Nikolaikirche durch die Polizei kontrolliert und blockiert. Später wurden dann schon die Zufahrtsstraßen und Autobahnabfahrten nach Leipzig großräumig unter Kontrolle gehalten bzw. für die Zeit des Friedensgebetes gesperrt. Die staatlichen Behörden verstärkten ihren Druck, die Friedensgebete abzusetzen oder wenigstens von der Nikolaikirche weg an den Stadtrand zu verlegen. Montag für Montag Verhaftungen bzw. “Zuführungen” im Zusammenhang mit den Friedensgebeten. Dennoch steigender Andrang der Besucher, bis die 2000 Plätze unserer Kirche nicht mehr ausreichten. So kam der alles entscheidende 9. Oktober heran.
So ging das Friedensgebet in einer unglaublichen Ruhe und Konzentration vonstatten. Kurz vor dem Schluss, vor dem Segen des Bischofs, wurde noch der Appell des Gewandhauskapellmeisters Professor Masur und anderer verlesen, der unsere Aufrufe zur Gewaltlosigkeit unterstützte. Wichtig auch diese Gemeinsamkeit in einer solch bedrohlichen Situation, die Verbundenheit zwischen Kirche und Kunst, Musik und Evangelium. So ging dieses Friedensgebet zu Ende mit dem Segen des Bischofs und der eindringlichen Aufforderung zur Gewaltlosigkeit. Und als wir, mehr als 2000 Menschen, aus unserer Kirche kamen – den Anblick werde ich nie vergessen-, warteten Zehntausende draußen auf dem Platz. Sie hatten Kerzen in den Händen. Und wenn man eine Kerze trägt, braucht man beide Hände. Man muss das Licht behüten, vor dem Auslöschen schützen. Da kann man nicht gleichzeitig noch einen Stein oder Knüppel in der Hand halten.
Nur wenige Wochen dauerte die gewaltlose Bewegung und brachte doch die Partei- und Weltanschauungsdiktatur zum Einsturz. Hunderttausende auf der Straße um das Stadtzentrum. Nicht eine zerstörte Schaufensterscheibe. Die unglaubliche Erfahrung mit der Macht der Gewaltlosigkeit. Sindermann, der dem Zentralkomitee der SED angehörte, sagte vor seinem Tod: “Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete.”
Auszug der Festrede von Küster Matthias Müller
Die Geschichte der deutschen Teilung und welche Auswirkungen sie auf die Region hatte, konnte an aufwendig gestalteten Infotafeln betrachtet werden. Dabei gab es manch rege Diskussion, zwischen denen die es erlebt haben und denen die es nur aus den Schulbüchern kennen.
Mit Kaffee und Kuchen und Würstchen vom Grill wurde beim anschließenden gemütlichen Beisammensein noch fröhlich gefeiert. Wir freuen uns, auch wieder im nächsten Jahr eure Gäste sein zu dürfen.
SPD Wartburgkreis
Maik Klotzbach