Erfurt. Die Einigung, in die der Kalihersteller K+S einbezogen wurde, ist ein Erfolg für die Vorsitzende der Flussgebietsgemeinschaft Weser, Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne). Ihr wäre damit ein Durchbruch auf länderübergreifender Ebene gelungen [].
Seit mehr als hundert Jahren wird um die Einleitung von Salz aus dem Kalibergbau in die Werra gestritten. Schon 1912 war das Regierungspräsidium in Kassel mit der Frage befasst, wie die Umweltlasten durch die Kaligewinnung zu mindern seien. Nun, im Jahr 2015, legen alle Beteiligten eine Einigung vor, laut der die Oberweser von 2027 an am Pegel Boffzen Süßwasserqualität wiedererlangen könnte. Auch das Verfahren, das bei der Europäischen Kommission wegen der Verletzung der Wasserrahmenrichtlinie gegen Deutschland anhängig ist, könnte ein Ende haben – wenn sich die Kommission am Mittwoch von dem Konzept der sogenannten Flussgebietsgemeinschaft Weser überzeugen lassen sollte. Der Flussgebietsgemeinschaft gehören die Anrainerstaaten von Werra und Weser an, also Thüringen, Hessen, Nordrhein- Westfalen, Niedersachsen und Bremen, aber auch die mittelbaren Anrainer Bayern und Sachsen-Anhalt.
Der Streit über die Auswirkungen der Salzförderung ist so alt wie die Förderung des Naturdüngers Kali. Die Salze, die für das Wachstum der Pflanzen unverzichtbar sind, setzten sich am Grund eines Meeres ab, als dieses vor weit mehr als 200 Millionen austrocknete. Darüber lagerte sich organische Materie ab, und der Vulkanismus formte – wiederum etwa 200 Millionen Jahre später – die Mittelgebirgslandschaft an Fulda und Werra. Darunter blieb das Salz verborgen, bis es 1894 bei Kaiseroda nahe Bad Salzungen durch eine Bohrung nachgewiesen wurde. Damit begann der Abbau des Rohstoffs im Werra-Revier.
Mit der Kaliförderung fielen jedoch salzhaltige Abwässer an. Die – nach heutiger Diktion – zuständige Umweltbehörde war von Beginn an das Regierungspräsidium Kassel. Damals wurde erwogen, die Abwässer einzudampfen oder sie durch eine Rohrleitung unmittelbar in die Nordsee zu lenken. Doch weder das eine noch das andere wurde Wirklichkeit. Die Behörde legte 1941 schließlich den Grenzwert von 2500 Milligramm Chlorid je Liter Flusswasser der Werra im thüringischen Gerstungen fest, was einem Salzgehalt von etwa 600 Milligramm in einem Liter Weserwasser bei Boffzen entsprach. Dieser Grenzwert gilt bis heute und sollte damals sicherstellen, dass Bremen unbelastetes Trinkwasser aus der Weser gewinnen konnte.
Eingehalten wurde der Wert über Jahrzehnte nicht. Die DDR förderte Kali ohne Rücksicht auf Natur und Umwelt. Nachdem die Trinkwasserversorgung im Raum Eisenach in Gefahr war, versenkte die volkseigene
Kaliindustrie keine Abwässer mehr im Untergrund, sondern kippte alle Abfälle in den Fluss, der das Salz nach Westen trug. Erst mit der Vereinigung der deutsch-deutschen Kaliindustrie unter dem Dach der K+S AG hielt die Industrie den Grenzwert von 1941 im Werra-Revier ein. Ein Teil der Salzrückstände wird zu riesengroßen grauweißen Bergen aufgehaldet, ein anderer Teil dosiert über die Werra abgeleitet und ein dritter Teil in tiefe Gesteinsschichten versenkt.
In den vergangenen Jahren hat K+S knapp 400 Millionen Euro investiert, um die Salzwassermenge, die in die Werra geleitet wird, von 14 auf sieben Millionen Kubikmeter im Jahr zu halbieren. 1970 flössen noch 41 Millionen Kubikmeter Salzabwasser in die Werra, vor allem aus den ostdeutschen Werken. Doch den Vorschriften der europäischen Wasserrahmenrichtlinie werden Werra und Weser trotz dieser Minderung nicht gerecht. Eigentlich sollte der gute Zustand der Gewässer, bemessen am Kriterium von 300 Milligramm Chlorid je Liter, bis 2015 erreicht sein. Im anderen Fall droht eine Strafe. Doch die EU lässt eine längere Frist zu, wenn die Herausforderung, das Ziel zu erreichen, besonders groß ist und sich zugleich alle Beteiligten mühen, Fortschritte zu erzielen.
Drei technische Verfahren sollen nun die Salzfracht in Werra und Weser mindern und zugleich dem Kaliabbau in Hessen und Thüringen den Fortbestand sichern, indem die maximale Salzfracht der Werra bis 2027 bei Gerstungen auf 1250 Milligramm je Liter und bei Boffzen auf 295 Milligramm je Liter etwa halbiert werden soll.
Das Kainit-Kieserit-Flotationsverfahren soll an weiteren Standorten im Werra-Revier angewandt werden. Mit ihm wird das Volumen der flüssigen Rückstände durch Eindampfen um 30 Prozent gemindert, während das Volumen der Wertstoffe, die aus dem Rohsalz gewonnen werden, steigt.
Statt nur einer der gigantischen Kalihalden im „Land der weißen Berge”, wie die Bergbaugewerkschaft das Werra-Revier einmal getauft hat, sollen alle drei Großhalden abgedeckt werden, genauso wie die Halde bei Neuhof im Kreis Fulda. Die Regenabwässer dieser Halde werden derzeit über eine eigens gebaute Pipeline etwa 65 Kilometer weit ins Werrarevier geleitet, um dort reguliert von K+S entsorgt zu werden.
Neu ist das Vorhaben, salzhaltige Abwässer unter Tage „einzustapeln”, sie dort also sicher zu verwahren. Da dieses Einstapeln nach Angaben der Fachleute „Neuland” ist, sollen bis 2018 die Planung und die Genehmigung eines „Werra-Bypass” vorbereitet werden, damit bis 2021 eine Rohrleitung aus dem Werra-Revier an die Oberweser gebaut werden könnte, wenn dies nötig sein sollte.
Für den Fall, dass die Salzfracht nicht in dem angestrebten Maße zu reduzieren sein wird, muss die Kaliindustrie von 2027 an die Fertigung drosseln. Das sei die „Ultima Ratio”, heißt es im Thüringer Umweltministerium. Siegesmund sprach gegenüber dieser Zeitung von einem „Meilenstein” zur Verbesserung der Wasserqualität in Werra und Weser. Es sei ein Ziel ins Auge gefasst worden, das bisher als nicht erreichbar gegolten habe und sowohl technisch als auch politisch kaum zu übertreffen sein werde. K+S habe sich in den Verhandlungen konstruktiv verhalten und in den Plan eingewilligt. Das Unternehmen wird auch die nicht unerheblichen Kosten der Salzreduktion tragen. Von 2016 an bis zum Jahr 2060 belaufen diese sich auf 68 Millionen Euro im Jahr. Der „Vier-Phasen- Plan”, mit dem Hessens grüne Umweltministerin Priska Hinz die Süßwasserqualität der Oberweser bis 2060 erreichen wollte, sei hingegen „tot”.
08.12.2015
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Von Claus Peter Müller