Wirtschaft im ländlichen Raum – Förderung der Standortfaktoren in den Kommunen

Zu einer Gesprächsrunde mit Wirtshaftminister Wolfgang Tiefensee luden Ortsteilbürgermeister Martin Geißler und SPD Kreisvorsitzender Maik Klotzbach Kommunalpolitiker und Bürger der Stadt Vacha und den umliegenden Gemeinden ein.

Den Bürgern “mal auf den Mund zu schauen, was sie für Probleme haben”, wie Ortsteilbürgermeister Martin Geißler (SPD) sagte, sei Ziel der Veranstaltung, die er organisiert hatte. Gut 50 Besucher hatten sich am Dienstagabend in der Gaststätte “Zur Linde” im Vachaer Ortsteil Wölferbütt eingefunden, um mit Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) ins Gespräch zu kommen. 

“Schön, dass die Bude so richtig voll ist”, befand der SPD-Kreisvorsitzende Maik Klotzbach. zu eginn der Veranstaltung. “Welche weichen und harten Standortfaktoren gibt es? Welche Förderschwerpunkte setzt das Land, auch in Kooperation mit der EU und dem Bund? Wie können sich Kommunen gegenseitig unterstützen – Stichwort interkommunale Zusammenarbeit?”, stellte Maik Klotzbach als Fragen in den Raum.

Martin Geißler, Ortsteilbürgermeister Wölferbütt, Wirtschaftminister Wolfgang Tiefensee und SPD Kreisvorsitzender Maik Klotzbach sprechen mit Kommunalpolitikern und Gästen über die Wirtschaft im ländlichen Raum

Um auf die Probleme der Region ausmerksam zu machen wurde Wirtschaftsminister Tiefensee auf seinem Weg nach Wölferbütt über die L 2601 geführt und war erschrocken über den Zustand der Straße.

“Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut und habe sofort zugesagt. Mich interessieren die Probleme und Aufgaben der Kommunen und Menschen im ländlichen Raum. Ich möchte die Dinge mitnehmen, die sie an mich herantragen”, erklärt Tiefensee.

“Natürlich laufe nicht alles wie gewünscht, irgendwas regt immer auf. Wenn man aber mal vergleiche, beispielsweise mit der Zeit vor 1989, könne man sehen, was bislang erreicht worden sei. Ich bin in Gera geboren und in Leipzig aufgewachsen, wo ich mit meiner heutigen Ex-Frau vier Kinder großgezogen habe – und ich kann mich gut daran erinnern, wie heruntergekommen die Orte damals waren. Ich will die aktuellen Verhältnisse nicht schönreden. Was ich aber nicht leiden kann, sei Miesmacherei, Nörgelei und “dieser komische Frust”, der sich in der Gesellschaft verbreite. Ich wünsche mir konstruktive Kritik an der Politik – und dass alle gemeinsam daran arbeiten, etwas besser zu machen”, führt Tiefensee aus.

Zahlreiche Besucher folgten der Einladung und diskutierten rege.


Was den ländlichen Raum betreffe, habe er den Eindruck, die Leute fühlten sich – zu Unrecht – benachteiligt. “Ich denke mal, wenn jetzt jemand von Ihnen aufsteht und sagt: ‚Tiefensee, Sie denken immer nur an die Städte an der Perlenkette, der A4. Wir sind doch der letzte Husten hier, an uns denkt keiner’, der kriegt Super-Beifall”, sagte er – und sorgte für Gelächter. Aber das stimme nicht. Beispielsweise werde das Geld aus der regionalen Wirtschaftsförderung im Verhältnis zu den Einwohnern “nahezu gleichmäßig” über das Land verteilt. “Ganz große Sorgen” bereite ihm aber, dass die Lebensqualität in kleineren Orten schlechter werde. Ziel müsse deshalb sein, “den ländlichen Raum attraktiver zu machen, die Kommunen auch mit Finanzen so auszustatten, dass sie in der Lage sind, sich selbst zu helfen und selbst Entscheidungen zu treffen.”

Bürgermeister der Stadt Vacha Martin Müller (CDU) begann mit Lob: “Wir haben in den letzten Jahren, wie Sie es gesagt haben, durchaus profitiert von den Förderprogrammen, die das Land Thüringen gemacht hat. So konnten wir die Erweiterung des Gewerbegebiets in Oberzella durchführen und das schnelle Internet für Völkershausen einrichten.

Weiter sagt Müller, “Bitte drehen sie nicht wieder an der Einwohnerschraube zugunsten der großen Städte. Ich bin froh, dass Innenminister Georg Maier (SPD) sich endlich durchgesetzt hat und der kommunale Finanzausgleich aufgestockt wird. Besonders geärgert hat mich aber, dass vom neuen, mit 200 Millionen Euro ausgestatteten kommunalen Investitionspaket eine Stadt wie Bad Salzungen mehr profitiere, weil sie pro Einwohner knapp 32 Euro bekomme und es im ländlichen Raum nur 11,50 Euro pro Einwohner gebe. Und wir haben noch hohe Bedarfe für die Infastruktur.”

“Ich nehme das mit – es ist ganz meine Meinung”, sagte Tiefensee. Die Aufstockung des kommunalen Finanzausgleichs sei beschlossen. Nun sei Innenminister Maier “dran, auch die Frage der Verteilung neu zu justieren”. Zielrichtung sei: “Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Thüringen – nicht bloß große Städte und der Rest guckt in die Röhre.”

“Insbesondere finanzschwache Kommunen haben es schwer an die notwendigen Fördermittel zu kommen. Programme gibt es zwar genug, aber oft können die notwendigen Eigenanteile nicht gestemmt werden. Daher ist es gut, dass in solchen Fällen das Land einspringt und die Förderquote auf 90 oder sogar 100% aufstockt. Die Landesregierung bemüht sich hier sehr”, erklärt Klotzbach

Kein Laden, kein Bus

Eine Frau aus Wölferbütt berichtete: “Wir haben in unserem Ort nichts, außer dieser schönen Gaststätte; keinen Bäcker, keinen Arzt, keinen Zahnarzt, keinen Fleischer. Und wir sind alle darauf angewiesen, dass wir fahrbar sind.” Es existiere keine Busverbindung, um morgens zum Einkaufen oder zum Arzt zu fahren. Nur den Elf-Uhr-Bus nach Vacha gebe es noch. Ein weiteres Problem sei, dass die Ärztin im Nachbarort Völkershausen nur noch bis April arbeite – und es so aussehe, als ob es keinen Nachfolger geben werde. “Ich habe gelesen, dass es ein Förderprogramm gibt, für Ärzte, die im ländlichen Raum eingesetzt werden sollen. Funktioniert das nicht, dass keiner kommen kann als Ersatz für Völkershausen?”, fragte sie den Minister. Zum Thema Mobilität erklärte Tiefensee, dafür seien der Landkreis und der hiesige Verkehrsverbund zuständig. “Was ich Ihnen als Landrat Krebs aber nie versprechen würde, ist, dass ich hier flächendeckend einen Bus fahren lassen kann. Sie können sich vorstellen, wie teuer der wäre, denn in der Regel fahren Sie da heiße Luft durch die Gegend.” Eine Möglichkeit sei aber, nach alternativen Mobilitätskonzepten für Rentner zu suchen. “Stichwort: Rufbus. Das gibt es bereits.” Dieses System funktioniere über Bestellungen, “das kann der Verkehrsverbund organisieren”. Es müsse Möglichkeiten geben, das Problem zu lösen. “Entwickeln Sie Ideen und gehen Sie zum Land beziehungsweise Landkreis und sagen: Ich brauche bloß folgende Unterstützung”, riet er. Zum Thema Arztpraxis erklärte der Minister: “Im ländlichen Raum die Arztpraxen zu halten, ist extrem schwer.” Junge Mediziner ziehe es eher in Krankenhäuser in den Städten. Die Förderung für Landärzte sei wirklich großzügig, betonte Tiefensee, stoße aber auf wenig Resonanz. “Wir können leider nicht mehr Medizinstudenten ausbilden. So ein Ausbildungsplatz kostet immens viel in der Medizin, wir können uns das nicht leisten”, sagte er.

Der Bürgermeister von Unterbreizbach Roland Ernst hakt nach, ob man die jungen Mediziner nach der Uni nicht verpflichten könne, “wie zu DDR-Zeiten, dass sie einige Jahre aufs Land müssen. Da das Land in die Ausbildung eines Mediziners “zigtausend Euro” stecke, könnte man das Ganze zumindest politisch lenken, indem man zur Wahl stelle: Entweder sie gehen aufs Land oder müssen einen Teil der Ausbildungskosten zurückzahlen”.

“Das gehe nicht. Das ist das Grundrecht des Bürgers auf die freie Wahl des Berufes und die freie Wahl des Ortes”, sagte der Minister. Der konkrete Fall der Arztpraxis in Völkershausen scheint indes gelöst: Sie gehört jetzt zum MVZ Bad Salzungen, soll aber am bisherigen Standort bleiben.

“Das Hauptproblem hier in der Gemeinde” seien die L 2601, die Straße in Richtung Vacha, und “diese illegale Straße, die nach Völkershausen führt” und weggerissen gehöre, sagte ein Bürger. Bei letzterer handelt es sich um eine landwirtschaftliche Straße, die “den ganzen Verkehr durch das Dorf zieht”, weil sie “einigermaßen in Ordnung” sei. Im Gegensatz zur L 2601 – über die unter anderem täglich Schulbusse führen. Diese Straße sei “eine absolute Katastrophe, schon seit DDR-Zeiten”, und es passiere einfach nichts. Die L 2601 sei “eine Katastrophe”, bestätigte der Minister, “Ich bin drüber gefahren. Wir mussten mit unserem Auto schräg in den Graben, als da ein Bus kam”, berichtete er – und beauftragte Maik Klotzbach, “mal den Staatssekretär von der Kollegin Keller herzuholen”. Der Mann aus dem Infrastrukturministerium sei jemand, “der wirklich Bescheid weiß”. Und wenn er hier herkomme und man ihm vor Augen führe, wie übel die Situation ist, “führt das immer auch dazu, dass man es in der Priorität vielleicht ein bisschen höher einstuft”, sagte der Minister.

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Ortsteilbürgermeister Martin Geißler und Kreisvoritzender Maik Klotzbach bedankten sich zum Abschluß für die rege und konstruktive Diskussion, “Wenn Sie Probleme haben, sprechen Sie uns an. Wir können nichts versprechen, wir wollen uns aber kümmern”.

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